Gastbeitrag von Dr. Roy Salveter: Werbeverbote bei Tabak und Alkohol schützen die Gesundheit

Kinder und Jugendliche gewinnen durch Werbung eine positive Einstellung zu Alkohol und Tabak. Ob sie die beabsichtigten Adressaten der Werbebotschaften sind oder nicht, spielt dabei kaum eine Rolle. Umfassende Werbeverbote sind zwar politisch umstritten, würden jedoch – zusammen mit anderen Massnahmen – einen besseren Schutz vor den subtilen Beeinflussungen und findigen Werbestrategien der Tabak- und Alkoholproduzenten bieten. In der Schweiz haben diese mehr Freiheiten als in anderen europäischen Ländern.

Die Forschung ist sich weitgehend einig: Werbung verleitet junge Konsumentinnen und Konsumenten zum Alkoholtrinken.
Alkoholwerbung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche mit dem Trinken beginnen und dass jene, die schon trinken, den Konsum erhöhen. Jugendliche, die im Alter von 18 Jahren positiver auf Alkoholwerbung reagiert hatten, waren im Alter von 21 Jahren stärkere Alkoholkonsumenten und berichteten über mehr alkoholbezogene Aggressionen, wie eine Studie des Instituts für Suchtforschung von 2004 zeigt. Auch bei Tabakprodukten haben viele Studien den Zusammenhang zwischen Werbung und Konsum bei Jugendlichen festgestellt. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob diese die Werbung bewusst wahrnehmen oder nicht. Jugendliche, die mehr Zigarettenwerbung ausgesetzt sind, fangen eher an zu rauchen als solche, die keine oder wenig Tabakwerbung wahrnehmen.

Der Reiz der Erwachsenenwelt

Werbeeinschränkungen gelten heute vorwiegend dem Jugendschutz. So, wie sie momentan ausgestaltet sind, ist ihr Nutzen jedoch beschränkt. Gesetzlich geforderte oder selbst auferlegte Verpflichtungen der Produzenten, keine Alkohol- oder Tabakwerbung direkt an Jugendliche, sondern nur an Erwachsene zu richten, sind weitgehend wirkungslos. Denn selbst wenn die Werbung keine Jugendlichen darstellt, werden doch Emotionen und ein Lebensgefühl der Erwachsenenwelt vermittelt, die für Jugendliche erstrebenswert erscheinen. In der Phase der Identitätsbildung sind sie für Signale und Symbole des  Erwachsenseins sehr empfänglich. «Erwachsenenwerbung » schützt die Jugend nicht, sie macht Tabak und Alkohol im Gegenteil noch attraktiver.

Die Hersteller von Alkoholika und Tabakprodukten in der Schweiz verhalten sich allerdings weitestgehend gesetzeskonform,
was Werbung und Jugendschutz betrifft. Die nationalen Einschränkungen gelten vor allem für TV- und Radiowerbung. Produzenten verlagern ihre Marketingmassnahmen heute einfach zunehmend in Bereiche, die immer noch erlaubt sind, zum Beispiel ins Sponsoring.

Kein Sponsoring ohne klaren Jugendschutz

Gerade das in der Schweiz weit verbreitete Sponsoring von Sportanlässen oder Musikfestivals macht offensichtlich, dass das Gesetz in puncto Jugendschutzwenig griffig ist. Solche Anlässe werden von Tausenden von jungen Menschen besucht. Vor allem Bierproduzenten erreichen etwa an Fussball- und Eishockeymatches sehr direkt und ganz legal ihr Zielpublikum: Jugendliche und junge Männer. Sie sind jene Bevölkerungsgruppe, die am wahrscheinlichsten einen problematischen Alkoholkonsum entwickelt. Damit sind sie gleichzeitig auch jene Gruppe, der die Alkoholindustrie einen wichtigen Anteil ihres Gewinns verdankt. Eine Verbesserung aus gesundheitspolitischer Sicht bei gesponserten Grossanlässen könnten strenge
Auflagen für den Jugendschutz und besondere Präventionsmassnahmen für Risikogruppen darstellen.

Schwer kontrollierbar: Onlinewerbung

Ebenfalls im Clinch mit dem Jugendschutzgedanken,nicht aber mit dem geltenden Gesetz, ist die stetig zunehmende Werbung im Internet, das Jugendmedium par excellence. Für klassische Onlinewerbung wie Werbebanner und Suchmaschinenwerbung haben Alkoholika-Produzenten im Jahr 2010 knapp 284 Millionen ausgegeben. 2008 lagen die Ausgaben noch bei 155 Millionen Franken. Das Internet bietet auch der Tabakindustrie eine neue Plattform für Werbung, welche schwer kontrollierbar ist. Jugendliche werden einerseits direkt mit Alkohol- oder Zigarettenwerbung oder der Präsenz der Produzenten im Web konfrontiert. Andererseits übernehmen sie selbst die Rolle der Werbenden, indem sie, den Möglichkeiten und Prinzipien des Social Web folgend, selber Inhalte herstellen oder weiterleiten. Das neue Tabakproduktegesetz will diesen Bereich im Sinne des Jugendschutzes klarer regeln und Onlinewerbung für Tabakprodukte künftig untersagen.

Tabakwerbeverbote: Andere Länder gehen weiter als die Schweiz

Die Schweiz ist eines der europäischen Länder mit der schwächsten Gesetzgebung betreffend Tabakwerbeverbote auf Bundesebene. Sie gehört zum Beispiel zusammen mit Deutschland und Bulgarien zu den einzigen Ländern, die über keine nationalen Einschränkungen der Tabakaussenwerbung verfügen. In allen anderen europäischen Ländern ist diese Form der Werbung nicht erlaubt. Bei der Tabakwerbung in Printmedien steht die Schweiz gar ganz alleine da: Als einziges Land Europas hat sie bis heute keine Einschränkungen auf nationaler Ebene eingeführt.

Fünfzehn Kantone verfügen zwar über strengere Einschränkungen, als es der Mindeststandard des Bundes verlangt. Doch es fragt sich, wie wirkungsvoll kantonale und damit auf relativ kleine Gebiete beschränkte Werbeverbote sind. Mit dem neuen Tabakproduktegesetz sollen Minimalanforderungen für die Tabakwerbung eingeführt werden, die dem Gedanken des Jugendschutzes gerecht werden.

Die strengsten Tabakwerbegesetze gelten in Irland, Norwegen, Grossbritannien oder Finnland. In diesen Ländern ist jede Form von Tabakwerbung untersagt, einschliesslich der Produktauslage an den Verkaufsstellen. Die Tabakwaren dürfen also nicht sichtbar sein und müssen beispielsweise unter dem Ladentisch gelagert werden.

Internationale Empfehlungen

Werbeeinschränkungen werden von der WHO als eine wichtige Massnahme in den Empfehlungen des europäischen Aktionsplans 2012–2020 zur effektiven Bekämpfung des schädlichen Alkoholkonsums angeführt. Denn in Bezug auf den Jugendschutz stellen neben den traditionellen Medien gerade neue Marketingkanäle eine Herausforderung dar.

Das WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs «WHO Framework Convention on Tobacco Control (FCTC)» ist ein wichtiges Instrument für die weltweite Tabakprävention. Bis heute haben es 177 Länder ratifiziert, darunter auch die 27 Mitgliedstaaten der EU. Die Schweiz hat es 2004 unterzeichnet. Für die Ratifikation der Konvention sind gesetzliche Anpassungen, vor allem bei der Regulierung der Tabakwerbung und des Tabaksponsorings sowie bei der Einführung eines Abgabeverbotes für Minderjährige (18 Jahre), notwendig. Diese Punkte werden im neuen Tabakproduktegesetz geregelt werden. Es wird dieser Tage in die Vernehmlassung geschickt und soll zirka 2018 in Kraft treten.

Strukturelle Massnahmen sind billiger und wirksamer

Zahlreiche Studien zeigen, dass strukturelle Präventionsmassnahmen (Verhältnisprävention) wie Besteuerung, Erhältlichkeit
und Werbeverbote wirksamer sind als Massnahmen, die auf einzelne Individuen zielen (Verhaltensprävention). Werbeverbote gehören auch zu den kostengünstigen präventionspolitischen Massnahmen und sind insbesondere dann wirksam, wenn sie das gesamte Marketing umfassen. So haben verschiedene Studien gezeigt, dass der Pro-Kopf-Konsum mit einem umfassenden Alkoholwerbeverbot um durchschnittlich 5 bis 8% gesenkt werden kann. Wer also für einen echten Jugendschutz einsteht, setzt sich für Werbeverbote von gesundheitsschädigenden Produkten ein.

Dr. Roy Salveter
Co-Leiter Abteilung Nationale Präventionsprogramme
Bundesamt für Gesundheit (BAG)

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Newsletter spectra Nr. 104 (PDF) vom Mai 2014. Seit 1995 informiert das Bundesamt für Gesundheit mit dem Newsletter spectra über Projekte, Programme und neue Trends in den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention. Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

Kommentar zum Entwurf des Tabakproduktegsetzes

Jährlich 8‘000 Tote als Opfer für Wirtschaftsfreiheit und Eigenverantwortung

Kürzlich wurde bekannt, dass viele Schweizer Tomaten zwecks Beschleunigung der Reife mit dem Nervengift Ethephon behandelt werden. Zu Recht empörten sich viele Konsumierende so dass Produzenten und Händler nun ihre Praxis ändern müssen.

Vor drei Jahren standen spanische Gurken im Verdacht, Träger von gesundheitsgefährdenden Erregern zu sein. Als Folge davon brach der gesamte Gurkenmarkt zusammen und bescherte den Produzenten grosse Verluste.

Seit Jahren sterben in der Schweiz jedes Jahr mehr als 8‘000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Provoziert dies eine Welle der Empörung? Bricht deswegen der Zigaretten-Markt zusammen? Wird die Werbung für dieses Tod bringende Produkt unterbunden? Nichts dergleichen. Im Gegenteil: Als Bundesrat Berset am 21. Mai den Entwurf für ein Tabakproduktegesetz vorstellte, erntete er von Wirtschaftsseite und von einigen politischen Parteien harsche Kritik. Wie so oft werden die beliebten Worthülsen Wirtschaftsfreiheit und Eigenverantwortung bemüht, um längst überfällige Massnahmen gegen die krankmachende und tödliche Tabakseuche zu torpedieren und möglichst im Keime zu ersticken. Die Tabakmafia streicht derweilen weiterhin Milliardengewinne ein und lacht sich zufrieden ins Fäustchen.

Gemäss Zweckartikel sollen mit dem Tabakproduktegesetz der Tabakkonsum und seine schädlichen Auswirkungen verringert werden. Ein besonders Augenmerk gilt den jungen Menschen, denn je später der Konsum beginnt, desto grösser ist die Chance, dass jemand wieder aufhören kann. Umfassende Werbe- und Sponsoringverbote kombiniert mit Verkaufseinschränkungen wären erwiesenermassen wirksame Mittel zur Eindämmung des Konsums und der damit verbundenen Schäden.

Bundesrat Berset hat es leider namentlich bei den Werbe- und Sponsoringvorschriften verpasst, rigoros durchzugreifen und hat sich so bereits vor der Vernehmlassung dem Druck der Wirtschaft gebeugt. Traurig und schade zugleich, aber Hauptsache, Tomaten und Gurken gefährden unsere Gesundheit nicht…

Was wirkt wirklich gegen das Rauchen bei Jugendlichen?

In Deutschland ist der Raucheranteil unter Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren von 28% im Jahr 2001 auf 12% im Jahr 2012 gesunken. Die Tabaklobby führt diesen Rückgang auf Schulprogramme zur Tabakprävention und Kampagnen zur gesundheitlichen Aufklärung zurück und stellt darum die Notwendigkeit weiterer gesetzlicher Massnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums in Frage. Genauer wollte es das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) wissen und untersuchte den Erfolg von schulischen Tabakpräventionsprogrammen sowie den Erfolg gesetzlicher Massnahmen.

Schulische Tabakpräventionsprogramme

Die beiden verbreitesten Präventionsprogramme in Deutschland sind „Klasse 2000“ und „Be Smart – Don’t Start„. Klasse 2000 ist ein allgemeines Programm zur Gesundheitsförderung für 1.- bis 4.-Klässler. Schwerpunkte sind Bewegung, Ernährung, Entspannung, Konfliktlösung und Substanzgebrauch. Etwa 15% der Erstklässler konnten damit erreicht werden. Laut Evaluation aus dem Jahr 2011 hat das Präventionsprogramm nur eine geringe Wirksamkeit: Bei weniger als 4% wird der Raucheinstieg verhindert oder wenigstens verzögert.
Be Smart – Don’t Start richtet sich an 5.- bis 8.-Klässler. In einem Wettbewerb verpflichten sich die Schüler, dass von November bis April weniger als 10% rauchen. Die Reichweite des Programms beträgt ca. 9%. Auch hier ist die Wirksamkeit begrenzt: Bei weniger als 5% der teilnehmenden Schülern kann der Raucheinstieg verhindert oder verzögert werden. Der Grossteil der Schüler würde auch ohne Schulprogramm weiterhin nicht rauchen.

Abbildung Reichweite und Wirkung von "Be Smart - Don't Start

Abbildung: Reichweite und Wirkung von „Be Smart – Don’t Start“ im Jahr 2012.

Gesetzliche Massnahmen

Mit verschiedenen gesetzlichen Massnahmen wird versucht, Kinder und Jugendliche vom Rauchen abzuhalten:

  • Tabaksteuererhöhungen
  • Nichtraucherschutzgesetze (Rauchverbote und Passivrauchschutz)
  • Alterslimiten
  • Werbeeinschränkungen

Die effektivste Massnahme, um Kinder und Jugendliche vom Rauchen abzuhalten sind deutliche und kontinuierliche Erhöhungen der Tabaksteuer.  Im Schnitt führt eine 10%-ige Erhöhung des Zigarettenpreiseses in Industrienationen zu einer 4%-igen Verringerung des Zigarettenkonsums. In Deutschland sank der Raucheranteil unter Jugendlichen nach deutlichen Steuererhöhungen zwischen 2002 und 2005 von 28% auf 20%.

Rauchanteil Jugendliche

Anteil von Rauchern unter Jugendlichen in Deutschland und durchschnittliche Tabaksteuer.

2007 wurde in Deutschland das Bundesnichtraucherschutzgesetz erlassen, das Rauchen in öffentlichen Einrichtungen des Bundes, öffentlichen und Bahnhöfen verbietet. 16 Bundesländer verbieten zudem das Rauchen in Sportstätten, medizinischen Einrichtungen und der Gastronomie. Diese Gesetze unterstützen den Trend zum Nichtrauchen. Nach der Einführung der Nichtraucherschutzgesetze sank der Raucheranteil unter Jugendlichen von 18% im Jahr 2007 auf 13% im Jahr 2010.

Weiter ist in Deutschland seit 2002 die Tabakwerbung in Printmedien und Internet verboten, seit 2007 dürfen Tabakwaren nicht an unter 18-Jährige verkauft werden. Beide Massnahmen werden jedoch noch mangelhaft umgesetzt bzw. es gibt noch viele Ausnahmeregelungen.

Fazit

Gesetzliche Massnahmen erreichen alle Jugendlichen, schulische Programme dagegen nur 9 – 15%. Neben der geringen Reichweite zeigten schulische Tabakpräventionsprogramme nur einen schwachen Einfluss auf das Rauchverhalten der Jugendlichen. Gesetzliche Massnahmen, insbesondere deutlichen Tabaksteuererhöhungen und Nichtraucherschutzgesetze, führten zu einem deutlichen Rückgang der Anzahl rauchender Jugendlicher.

 

Quelle

Wirksamer Jugendschutz – intelligente Prävention

Wirksamer Jugendschutz beginnt nicht erst beim Alkoholverkaufsverbot an Minderjährige. Er beginnt bereits im Vorschulalter, daheim am Mittagstisch, im Jugendtreff. Wir als Erwachsene müssen Verantwortung übernehmen. Sei es, indem wir Aufklärung leisten, Vorbild sind oder indem wir uns an die rechtlichen Bestimmungen beim Verkauf von Alkohol an Jugendliche halten.

Alkoholtestkäufe sind nicht nur ein wirksames Mittel zur Überprüfung der Jugendschutzbestimmungen, sie dienen auch dazu die Bevölkerung und das Verkaufs- resp. das Servicepersonal zu sensibilisieren. Es geht dabei um die Auseinandersetzung mit der Thematik, dem vor Augenführen von Tatsachen und rechtlichen Bestimmungen.

Der menschliche Körper ist so gebaut, dass er sich bis ungefähr zum 20. Lebensalter entwickelt. Die Leber zum Beispiel ist bei einem 14-Jährigen Mädchen noch nicht voll ausgereift. Somit kann ein Alkoholrausch bei Jugendlichen schnell einmal zu einer Alkoholvergiftung führen.

Nehmen wir unsere Verantwortung unseren Jungen gegenüber also wahr. Wir könnten das nächste Schulschlussfest, die nächste Familienfeier oder die Halloweenparty ganz gut einmal alkoholfrei feiern. Als Erfolg davon sehen wir eine nachhaltige, gesunde und lebensfrohe Entwicklung unserer Kinder.

Karin Leuenberger

Aus dem Alkoholgesetz wird ein Alkoholfördergesetz

Gestern und heute befasste sich der Nationalrat mit den beiden neuen Gesetzen, die das bisherige Alkoholgesetz ablösen sollen. Während das Spirituosensteuergesetz (SpStG) die Steuern von Spirituosen und Ethanol regelt, ist das Alkoholhandelsgesetz (AlkHG) für die Verminderung des Alkoholmissbrauchs samt den negativen Auswirkungen und für den Jugendschutz zuständig.

Der Nationalrat hat sich in der Debatte als „Sklave der Alkohollobby“ (Zitat Strafrechtsprofessor Martin Killias) entpuppt. Im aktuellen Beschluss des Nationalrates kann nicht mehr ernsthaft von Jugendschutz gesprochen werden. Vielmehr werden die Produktion, der Konsum und damit der Missbrauch von Alkohol sogar noch gefördert.

Die folgenden Beschlüsse des Nationalrates sind aus Sicht der Prävention ganz klar falsch:

  • Einführung der Ausbeutebesteuerung: Mit einem komplizierten und antiquierten System werden inländische Spirituosen auf Hochstamm- und Kernobstbasis steuerlich begünstigt. So sollen inländisch hergestellte Spirituosen günstiger werden. Dies führt zu jährlichen Mindereinnahmen bei den Spirituosensteuern von ca. 12 – 15 Millionen Franken. Es droht sogar die Gefahr, dass ausländische Spirituosen ebenfalls steuerlich begünstigt werden müssen, da die Ausbeutebesteuerung gegen internationale Abkommen verstösst. Die Steuerausfälle würden dann auf gegen 100 Millionen Franken steigen. Mit der Spirituosensteuer wird der Alkoholzehntel finanziert, den die Kantone für die Prävention einsetzen.
  • Streichung der vom Ständerat geforderten alkoholgehaltabhängigen Mindestpreise: Belegt ist durch zahlreiche Untersuchungen, dass preisliche Massnahmen den Konsum ursächlich beeinflussen. Vor allem junge Menschen und Risikokonsumierende reagieren auf Preiserhöhungen. Mit dem Verzicht auf Mindestpreise darf der Alkohol weiterhin zu Dumpingpreisen verkauft werden. So bleibt es möglich sich für wenig Geld einen massiven Rausch anzutrinken.
  • Lockerung der Regeln für Zugaben und Vergünstigungen: Im heute geltenden Alkoholgesetz sind Happy Hours und Flatrate-Partys für Spirituosen verboten. Der Nationalrat will diese im neuen AlkHG für alle Alkoholika erlauben. Bundesrätin Widmer-Schlumpf sprach von einem „Aufruf zum Flatrate-Saufen„. Clubs und Barbetreiber dürften sich die Hände reiben, doch die Öffentlichkeit muss die Folgen von Gewalt, Vandalismus, Littering und die Kosten von Spitaleinweisungen tragen. Vergeblich haben sich die Kantone, der Städte-, der Polizeiverband und Fachleute für strenge Vorschriften eingesetzt.
  • Kein Nachtverkaufsverbot: Kantone, Städte, Polizei und Fachleute haben sich ebenfalls für ein „Nachtregime“ eingesetzt, dem Verkaufsverbot von Alkohol im Detailhandel zwischen 22 und 6 Uhr. Auch dieses wurde verworfen, obwohl der Kanton Genf, der ein solches Verbot kennt, gute Erfahrungen damit gemacht hat. So wird (Billigst-) Alkohol mit dem Fortschreiten der 24-Stunden-Gesellschaft bald rund um die Uhr erhältlich sein. Viele junge, aber auch ältere Nachtschwärmer, planen ihren Alkoholkauf nicht im Voraus und werden künftig mehr Gelegenheiten zum Kauf und zum Konsum haben.

Immerhin konnte sich der Nationalrat zu zwei Präventionsmassnahmen durchringen: Erhöhung der Spirituosensteuer von 29 auf 32 Franken pro Liter und gesetzliche Verankerung von Alkoholtestkäufen. Dies bleibt ein schwacher Trost bei allen anderen Liberalisierungs- und Konsumfördermassnahmen.

Fazit: Die Nationalratsmehrheit hat weitgehend verantwortungslose Entscheide gefällt und sich in einigen Fällen als sehr faktenresistent erwiesen. Besonders das Alkoholhandelsgesetz spottet in dieser Form den im Zweckartikel formulierten Zielen.

Die Gesetze gehen nun zurück zum Ständerat. Es bleibt zu hoffen, dass dieser korrigierend eingreift. In dieser Form sind nämlich die beiden Alkoholgesetze untragbar und müssen mit einem Referendum bekämpft werden.

Mike Neeser, Psychologe lic. phil.
Ruedi Löffel, Stellenleiter Suchtprävention Blaues Kreuz Bern